In den eigenen vier Wänden
Mit einem Block, einem Bleistift und einem Telefon hat alles 1994 in einem Raum im Altersheim Scheffau begonnen. »Man kann die Anfänge des Sprengels mit heute nicht mehr vergleichen«, beschreibt die seit Jänner 2019 tätige Geschäftsführerin Laila Wagner. In den Anfangszeiten arbeiteten neben dem Fachpersonal viele engagierte Einheimische als Laienhelfer in der Pflege, seit einigen Jahren ist jedoch eine fundierte Ausbildung im Bereich der Pflege zwingend vorgeschrieben. Nach dem 1997 festgelegten Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) wird heute in Pfle- geberufen gearbeitet, um Qualität ge- währleisten und sichern zu können. Verändert haben sich nicht nur die An- forderungen des Berufsbildes, in den letzten Jahren kam es durch zahlreiche Pensionierungen zu einer stetigen Ver- jüngung des Personals. Mit 2019 haben sich die langjährigen und geschätzten Sprengelmitarbeiterinnen Bärbl Hauser, Anni Gruber und Resi Horngacher in den Ruhestand verabschiedet. »Mit dem Schritt in die Pension sind nun die letzten Mitarbeiterinnen der Gründergeneration in den Ruhestand getreten«, erklärt die Geschäftsführerin. »Wir sind aktuell ein sehr junges Team an Pflege- und Führungskräften«
EINES HÄLT DAS ANDERE
Der Grundgedanke des Gesundheits- und Sozialsprengels Söllandl hat sich in seinem 25-jährigen Bestehen nie geändert: Hilfe und Rat für Pflegebedürftige
und deren Angehörige aus den vier betei- ligten Gemeinden Söll, Scheffau, Ellmau und Going. Voraussetzung für die Inan- spruchnahme von Hauskrankenpflege, Heimhilfe, Hauswirtschaftsdienst und Essen auf Rädern ist ein Pflegegeldbezug, ein Antrag auf Pflegegeld oder eine ärzt liche Zuweisung.
Der Gesundheits- und Sozialsprengel ist ein gemeinnütziger und mildtätiger Ver- ein, der nicht gewinnorientiert handelt. Finanziert wird der Sprengel durch das Land Tirol, seinen Gemeinden und den Selbstbehalten der Klienten. Letzteres wird nach einem bundeslandweit gelten- den und vom Land Tirol jährlich festge- setzten Tarifmodell errechnet.
»Jeder Mensch hat seine eigene Art, sein Leben zu gestalten. Jeder soll so akzeptiert werden, wie er ist.«
Laila Wagner,
Geschäftsführung Sprengel Söllandl
»Wir machen so viel wie möglich – brauchen aber auch die Hilfe der An- gehörigen. Ohne sie ginge es nicht.«
Manuela Schonner,
Pflegedienstleitung
WILDE KAISERIN
Sie beraten in allen Fragen der Pflege und Betreuung, das Erstgespräch ist unverbindlich und kos- tenlos. Gibt es dennoch eine Hemm- schwelle in der Bevölkerung, die Leis- tungen des Sozialsprengels in Anspruch zu nehmen?
MANUELA SCHONNER
Ich finde nicht, dass es eine Hemmschwelle gibt. Aber Angehörige leisten oft bis an die Gren- zen der eigenen Belastbarkeit Pflege und Hilfe, ehe sie Unterstützung durch den Sprengel suchen.
LAILA WAGNER
Wir bemühen uns um rasche Hilfe, aber es können einige Tage zwischen Anfrage und Erstgespräch ver- gehen. Ohne dieses Gespräch mit der zu betreuenden Person und/oder dessen Bezugsperson dürfen wir keine Leistun- gen erbringen. Wir sind verpflichtet, den Richtlinien des Landes Tirol Folge zu leisten. Es bedarf deshalb einer kleinen Vorlaufzeit, ad hoc ist wenig möglich. Eine Beratung kann jederzeit in An- spruch genommen werden.
SCHONNER
Kurzfristige Einsätze kön- nen wir daher schwer berücksichtigen, da alle unsere pflegerischen Leistungen mindestens eine Woche im Voraus ge- plant werden müssen. Es gibt ein Rad, eine Struktur, einen Plan. Wir bitten da- her um Verständnis, dass es einige Zeit an Planung und Organisation braucht, bis es von der ersten Anfrage zum Er- steinsatz kommt.
Haben wir eine ausgewogene Pflege – nicht nur aus medizinisch-pflegerischer, sondern aus allgemein sorgender Sicht?
SCHONNER
Ja, im Sprengel jedenfalls, da unsere pflegerischen Leistungen der- zeit keiner Zeitvorgabe für Tätigkeiten wie das Anziehen, Waschen, Blutdruck messen und so weiter unterliegen. In Deutschland wird beispielsweise nach den Leistungen abgerechnet, aber das ist bei uns nicht der Fall. Wir achten darauf, dass wir genügend Zeit einplanen – sodass weder Klient noch Mitarbeiter unter Zeitdruck stehen.
Wird die ein- geplante Zeit überschritten, begründen wir das natürlich in der Dokumentation. Hierbei kann auch festgehalten werden, dass der Klient noch ein Gespräch führen wollte. Es ist uns ein Anliegen, den Menschen so lange wie möglich bei den Aktivitäten des täglichen Lebens zu un- terstützen, zu fördern und zu beraten.
WAGNER
Entschließt man sich für den Sprengel Söllandl zu arbeiten, ist es da- her unerlässlich ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbstständigkeit mitzubringen, weil man gegebenenfalls schnell und eigenständig Entscheidun- gen treffen muss. Man muss sich seiner Sache sicher sein.
Die 24-Stunden-Pflege ist eine Form der Hausbetreuung – abseits des Sprengels – und wird immer öfter von älteren Personen in Anspruch genommen. Wie sehen Sie diese Entwicklung im Allgemeinen?
WAGNER
Eine Rundumbetreuung durch die Angehörigen ist durch die heutige, geän- derte Familien- und Wohnsituation oft nicht mehr gegeben. Ein Verbleib in den eigenen vier Wänden wäre ohne 24-Stunden-Betreu- ung nicht möglich.
SCHONNER
Es gibt Krankheitsbilder, die diese rund um die Uhr Betreuung brauchen. Für diese Betreuungsart haben wir weder die nötige Struktur noch die personelle Kapazi- tät. Wir haben keine Nachtdienste, nachmit- tags sind wir nur in Einzelfällen im Einsatz. WAGNER Wir geben aber bei Bedarf gerne Adressen von regionalen Agenturen wei- ter. Diese sind bei Problemen greifbar und kümmern sich. Man muss bei diesem Thema aber ebenso berücksichtigen, dass eine Pfle- gerin im Haus oftmals Stress für die gepflegte Person und für pflegende Angehörige bedeu- tet. Das ist auf jeden Fall zu beachten, man muss die Optionen abwägen.
Jeden ersten Dienstag im Monat bietet der Sprengel eine kostenlose und mit Schwei- gepflicht versehene Selbsthilfegruppe für Angehörige von dementen Menschen an. Ist Demenz nach wie vor ein Tabuthema in der Gesellschaft?
WAGNER
Das ist unterschiedlich, wie Be- troffene und deren Angehörige mit der Er- krankung umgehen. Manche sprechen ganz offen darüber, andere nicht. Ein Tabuthema ist die Demenz aber – auch aufgrund der Häufigkeit – nicht mehr. In der Selbsthilfe- gruppe wird unter der Leitung von Maria Maier-Egger über die Krankheit informiert. Über deren unterschiedliche Verläufe und Stadien gesprochen. Auch bietet sich in der Gruppe die Gelegenheit, sich mit anderen Angehörigen auszutauschen. Über Gefühle, Ängste und Erfahrungen zu sprechen erachte ich als essentiell, da die Betreuung eines an Demenz erkrankten Angehörigen sehr an- spruchsvoll und fordernd ist.