Mit Schwung auf die Bahn
Zwischen Brauchtum, Gaudi, Ehrensache und ernstem Wettbewerb: Der Stocksport
oder auch das Stockschießen ist eine Sportart, die lange Tradition im Alpenraum hat. Der
vermutlich älteste Sport der Alpen ist aber dennoch nicht vom Aussterben bedroht, auch
wenn er oftmals als »Sport der Alten« gehandelt wird. Der Grund: viele der Schützen
sind bereits im Rentenalter. Was die sportlichen Leistungen aber nicht schmälert, wie der
Eisschützenverein Söll zeigt.
Schier lautlos flitzt der Stock über den
trockenen Asphalt, um nach einigen Metern
mit einem lauten Geräusch gegen
die niedrige Holzbegrenzung der Bahn
zu knallen. Die beschlagene Kunststoffscheibe,
deren Griff, der Stock, den charakteristischen
Namen für diese Sportart
gibt, bewegt sich durch den Aufprall wenige
Sekunden später wieder die Bahn aufwärts ins Zielfeld und bleibt dann unmittelbar
neben der Daube stehen.
ZIELSICHERHEIT, KRAFT UND GEFÜHL
Was einfach aussieht, erfordert eine
Menge Zielsicherheit, Kraft in Arm und
Rücken sowie Gefühl. Bei dem Präzisionsport gilt es, mit dem Stock von der
Abspielstelle aus möglichst nahe an die
Daube zu schießen – womöglich diesen
sogar in Bestlage, also näher an das Zielobjekt
als die Stöcke der gegnerischen
vierköpfigen Mannschaft, zu bringen.
Wenn das Zielobjekt durch eine Einwirkung
in ihrer Lage innerhalb des Feldes
verändert wird, so verbleibt es an dem
neuen Standort, der für die Wertung entscheidend
ist. Wird die Daube jedoch
aus dem Spielfeld geschossen, wird sie
auf das Mittelkreuz, deren Anfangsposition,
zurückgelegt. »Die Schützen, die
zuletzt am nächsten an der Daube mit
dem Stock sind, schreiben«, sagt Mathias
Sillaber, Obmann des EV Söll. »Neun
Punkte kann eine Mannschaft maximal
bei einer Kehre erreichen.« Insgesamt
werden sechs Kehren gespielt.
Entscheidend für den Erfolg einer Mannschaft
ist auch die Ausrüstung. Wichtigstes
Utensil dabei ist der Stock, welcher
aus drei Teilen besteht: dem Stiel, der
auch Stock genannt wird und somit dem
Sportgerät seinen Namen gibt, dem unterhalb
des Stiels befindlichen Stockkörper,
der Stabilität verleiht, und der unten
aufliegenden Laufsohle, auf der der Stock
über den Asphalt oder das Eis rutscht.
Das Sportgerät hat ein Gewicht von rund
drei Kilogramm. Im Winter werden zudem
Schuhe mit gutem Grip und eventuell
Handschuhe benötigt.
VON DEN ANFÄNGEN
Damals im Winter, da hat sich in Söll
eine kleine Gruppe Einheimischer zum
Eisstockschießen formiert. Zugefrorene
Seen dienten als Bahn, gemeinsam wurde
das Hobby ausgelebt »Wir fragten
uns aber schnell, was wir im Sommer
machen sollten. Da wollten wir natürlich
auch gerne schießen«, erinnert sich
Mathias zurück. »Es gab zu diesem Zeitpunkt
schon die ersten Asphaltbahnen
in der Gegend. Eine in Kufstein, eine in
Bad Häring – aber viele waren es nicht.
Und wir wollten etwas Eigenes.« So wurde
im Frühjahr 1979 der Verein mit zehn
aktiven Mitgliedern gegründet, um selbst
offiziell auftreten zu können. Der erste
Obmann war damals der Malermeister
Edgar Eder.
In diese Anfangszeit fiel auch der Bau
der Söller Asphaltbahn. »Wir haben den
Grund vom Wirt bekommen«, sagt er,
»und haben mit dem Fundament begonnen.
Die Mauern, die heute zu sehen
sind, sind noch die originalen von früher.« Die Umrandung und Beleuchtung
folgte, der Asphalt wurde als Unterlage
zum Schießen eingebaut. »Dann ist es eh
schon losgegangen.« Die Halle errichteten
die Vereinsmitglieder im Jahr 1986,
auch die zweite Bahn wurde erst einige
Jahre später zur Anlage hinzugefügt.
DIE GUTEN, ALTEN ZEITEN
Die Erfolge von früher lassen sich durchaus
sehen, im kleinen Vereinshaus neben
Oberstegen sind die Siegestrophäen der
letzten 40 Jahre ordentlich verstaut. »Wir
haben gleich am Beginn schon schöne
Pokale von Turnieren heimgebracht. Von
Bayern, Südtirol herein – und auch von
weit rundherum. Wir waren schon eifrig
und sind im Jahr zu bis zu 60 Turnieren
gefahren«, schwärmt der seit 1982 eingesetzte
Obmann von früher. Die Frauenmannschaft
aus dem Verein ist sogar sieben
Mal zur Staatsmeisterschaft gefahren,
einige Landesmeistertitel gingen an die
Söllerinnen. »Heute ist es mit den Erfolgen
etwas schwieriger. Wir sind beinahe
alle zwischen 60 und 70 Jahren alt und
sollen mit den Jüngeren mithalten. Jetzt
kommen wir nicht mehr so oft auf die guten
Plätze und fahren ›nur‹ mehr zu bis zu 30 Turnieren.« Ab und an holen die Söller
dennoch Stockerlplätze für ihren Verein, immerhin
wird auch fleißig jede Woche trainiert.
»Früher ging es aber um einiges leichter.«
VOM WERT NEUER MITGLIEDER
»Wir sind einfach alle älter geworden«, wird
Mathias nachdenklich. Kleine Wehwehchen
plagen die Stocksportler nach Jahrzehnten
im Einsatz, Kreuzweh verschont auch die
aktivsten Mitglieder nicht. »Das Schlimmste
ist eigentlich, dass keine jungen Mitglieder
nachgekommen sind. Die bräuchten wir aber
sehr.« In den Jahren waren immer wieder jüngere
Stocksportbegeisterte im Verein, durch
Familie und Freizeit ergab sich aber kein weiteres
Engagement. »Zwei bis drei Mannschaften
gehen sich mit den aktiven Stockschützen
aber noch aus. Daher fahren wir weiterhin zu
Turnieren, solange es geht«, zeigt sich Mathias
optimistisch. »Obwohl man auch sagen muss,
dass wir bei Wettbewerben schon viel erreicht
haben. Es ist nicht so schlimm, wenn wir
nicht mehr so oft fahren. Aber vielleicht ergibt
sich etwas, dass ein paar dazukommen.«
Der Verein umfasst aktuell 85 männliche und
30 weibliche Mitglieder. Immer dienstags am
Abend trainiert der EV Söll in deren Halle
neben dem Gasthaus Oberstegen.
Text: Alexandra Embacher
Foto: GPhoto /Martin Guggenberger
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